Die Illustrationen allein scheinen fast nur Tendenzen vorzugeben, denn man findet oft genug Ausnahmen. Ich denke aber, dass es für (reine?) Infanterieschilde Belege für tieferliegende Handriemen gibt, die es besser erlauben, den Schild zum Schutz des Kopfes nach oben zu ziehen (alle Quellenangaben kann ich nachreichen, bin nur gerade zu faul):
Ein weiterer wäre der von Kohlmorgen erwähnte ominöse
Röldalschild, dessen tiefe Beriemung er nicht deuten konnte. Zumindest liegen die Handriemen aber auf vielen Quellen (selbst bei Reiterschilden) nicht so hoch wie bei Kohlmorgens "Standardrekonstruktion":
Für Reiter ist es dagegen von Vorteil, wenn sie den Schild dank höherliegender Handriemen besser absenken können. Wesentlich besser zu belegen ist, dass die Handriemen sehr oft sogar in der Mitte des Schildes lagen und nicht so nah an der rechten Kante. Letzteres findet sich zwar auch, aber fast nur bei Reiterschilden, nie bei denen für Infanteristen. Ich habe selbst gemerkt, dass ein Führen des Schildes über Handriemen und Fessel zwar auch geht, aber die Handriemen mehr in Richtung Mitte wohl mehr Sicherheit böten:
eher "zentrale" Handriemen:
stark exzentrische Handriemen:
Ausnahmen bestätigen die Regel, aber auch hier sind es Schilde, die aus einem Reiterkontext stammen (und wie wir anhand der bisherigen Bilder dieser Eneît-Hs von 1210–1220 sehen konnten, variiert die Position auch von einer Illustration zur nächsten):
Ich habe meinen Schild nach Kohlmorgenanleitung bisher nur einmal richtig auf dem Pferd getragen und – es mag an den unhistorisch-angewinkelten Beinen gelegen haben – die Rutschbahn zu meinem Hals hin war mir jedes Mal unsympathisch. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Schild im Reiterkampf und vor allem gegen Lanzen mit dem Unterarm dahinter besser hält, aber da fehlen uns allen vermutlich die Erfahrungen mit echten Lanzenangriffen (scharfe Spitzen verändern die ganze Sache sicherlich auch nochmal, denn die werden deutlich weniger abrutschen). Zudem heißt der Unterarm hinterm Schild ja nicht, dass er daran festgeschnallt sein muss. Die Belege für eindeutige Unterarmriemen, die ich kenne, gibt es hier:
Kurz danach hört es auch schon auf, ggf. kann man das eine aus der Bibliothek Mazarin dort oben entsprechend deuten, wo nicht klar ist, ob die Initialfigur mit dem Drachen den roten Tropfenschild mit Unterarmriemen und Handriemen oder nur mit zwei Handriemen führt. Dagegen stehen etliche Darstellungen, auf denen auch Reiter eindeutig
keinen Unterarmriemen benutzen (siehe auch schon oben). Darstellungen, bei denen der Schildarm verdeckt ist, gibt es natürlich zuhauf, aber die bringen uns nicht weiter. Die von Kohlmorgen rekonstruierten unteren Handriemen lassen sich vereinzelt finden, aber oft genug werden die Zügel eben auch weit oben getragen dargestellt (s.o. beim Rolandslied und der Bilderbibel aus Navarre, beide bei den "stark exzentrischen Handriemen"). Dann vielleicht doch mehr Schenkelhilfen, wer weiß... das von dir beschriebene Kippproblem könnte ggf. auch mit den höherliegenden Handriemen erklärt werden, denn dann könnte eine Lanze wirklich schlecht zum Kopf hin abgleiten.
Das auf-den-Rücken-werfen der Schilde ist zwar hauptsächlich für die Infanterie belegt, aber selbst wenn dann findet es sich mit der Spitze nach unten:
Worauf stützt sich das mit der Spitze nach oben, William? Zuletzt noch werde ich wohl die Schildfesselpunkte weiter nach unten verlagern, als ich sie bisher habe. Dafür gibt es einfach zu viele Belege, die dem rechte oberen Ansatzpüunkt bei Kohlmorgen widersprechen. Außerdem kann ich dann hoffentlich den rechten Arm besser hinterm Schild überkreuzen, denn momentan steht die Fessel einfach zu horizontal im Weg. Aber jetzt genug getippt, ich sollte arbeiten.