Autor Thema: Kunst im Mittelalter - Interpretation von Bildbelegen!  (Gelesen 6447 mal)

William

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Kunst im Mittelalter - Interpretation von Bildbelegen!
« am: 05. März 2009, 11:01:57 »
Liebe Brüder und Schwestern,

ich möchte gerne einen Thread zu dem Thema erstellen, da es im Bezug auf Bedeutung und Deutung von früh- und hochmittelalterlichen Bildbelegen, immer wieder "Probleme" gibt.

Ich bin selber kein "Kunstkenner" und kann daher nur eine grobe Einleitung geben, hoffe aber das wir hier im Forum Experten haben, die da mehr zu sagen können!

Zunächst einmal möchte ich an eine Situation erinnern, die wohl jeder von uns erlebt hat - wir zeigen einem Bekannten - der nix mit dem MA Hobby am Hut hat - ein mittelalterliches Bild.
Die folgende Reaktion hat so oder ähnlich jeder von uns wohl schon erlebt - der/die Bekannte macht sich lustig über unser schönes Bild!

Warum?

Nunja es sieht häufig aus wie von Kinderhand - völlig falsche Proportionen - vieles erinnert mehr an ein Strichmännchen - z.B. die Waffen etc.

Dazu offt "merkwürdige" Gesten, wie ein (viel zu großer) ausgestreckter Finger oder Hand - merkwürdig verrenkt wirkende Haltungen etc.

Was ist also sooo anders an den Bildern?

In späteren Jahrhunderten haben sich Künstler wie Rubens bemüht ein möglichst exaktes Abbild des Motives zu schaffen.
Mit Schattierungen und feinsten Strichen wird eine Art Foto erstellt - eben so wie wir es heute kennen (Abstrakte Kunst mal außen vor gelassen! *jokely*)

Die mittelalterlichen (früh + hoch) Bilder sind da ganz anders - stellt sich die Frage wieso?

Nun im besagten Zeitraum (ich nenne es nun nur MA) gab es mit Sicherheit auch schon Künstler, die wirklich exakte Bilder malen konnten - sehen wir in vielen Kirchen, aber meist ging es gar nicht um eine detailgetreue Wiedergabe.

Kunsthistoriker nennen das - glaube ich - sprechende Bilder.

Im MA war das Analphabetentum noch normal - also benutzte man Bilder, die jeder verstehen konnte - eine Symbolsprache, die sich durch die "überproportionale" Darstellung des Inhaltes deutlich machen sollte!

Solche Bilder haben dann eben versucht eine Aussage zu einem bestimmten wichtigen Ereignis zu machen, oder aber eine Geschichte zu erzählen (z.B. biblische Geschichten)

Wenn man so ein Bild "verstehen" will, muß man also die Symbolik kennen und das Weltbild - sozusagen den Zeitgeist - der Menschen begreifen.
Erst dann erschließt sich einem die Symbolik.

Wenn es dem Künstler also darum ging ein wichtiges Ereignis - wie z.B. eine Krönung darzustellen, dann wurden die dafür wichtigen Details und Gesten deutlich hervorgehoben - alles andere war nur schmückendes Beiwerk und wurde dementsprechen vernachlässigt!

Dazu wurde nach der zeitgemäßen Auffassung von Mode verschönert und idealisiert! (hautenge Kettenhemden und Beinlinge, viel zu kleine Helme etc.)

Wenn ich also den Genauigkeitsgrad eines abgebildeten Kleidungsstückes werten will, muß ich immer ersteinmal die Intention des Künstlers oder Auftraggebers "verstehen" - nur dann kann ich daraus Rückschlüsse auf die Detailgenauigkeit der dargestellten Kleidung oder Ausrüstung ziehen.

Dazu kommt dann noch das es noch nicht üblich war Modell zu sitzen - also wurden viele Bilder aus der Erinnerung - nachträglich - gemalt, oder gar rein nach der Vorstellung des Künstlers - folglich also auch nur mit den Inhalten, die dem Künstler geläufig waren!
Das war dann aber nicht unbedingt immer wirklich das was man mit einem Fotoapparat festgehalten hätte.
(erinnert euch an moderne Zeugenaussagen - 4 Zeugen=4 unterschiedliche Phantombilder! *smoky*)

Anders sieht es da im Bereich Skulpturen aus - besonders Grabplatten weisen häufig einen wesentlich höheren Grad an Detailtreue aus, da es ja hier "nur" um die Darstellung des Toten ging - evtl lag da sogar die "Vorlage" noch vor dem Künstler aufgebahrt.
Natürlich wurde auch hier der "Kunde" möglichst vorteilhaft dargestellt!

Wie gesagt - dies soll nur eine Einleitung zu dem Thema sein und es gibt sicherlich Forenangehörige, die da viel mehr zu sagen können als ich.

Ich möchte nur erste Anregungen zu dem Thema geben und dazu auffordern sich mit der Thematik auseinander zu setzen.

Es wäre schön, wenn sich da jemand findet, der genauere Angaben machen würde - evtl anhand von Bildbeispielen etc.

Denn wenn wir Bildbelege richtig auswerten wollen, gehört ein Grundverständnis dieser Materie einfach dazu.

Also bitte an alle die da mehr Ahnung haben als ich - füllt den Thread mit Inhalt, auf das wir alle erleuchtet werden und wieder etwas dazulernen können - DANKE!

Gruß

William
Ist es nicht klüger zu akzeptieren, dass man nichts Genaues weiß, als sich auf tönernen Füßen Wahrheiten aufzubauen?

Siegfrud von Burgund

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Kunst im Mittelalter - Interpretation von Bildbelegen!
« Antwort #1 am: 05. März 2009, 11:34:17 »
Ich finde z.B. das Buch zum Codex Manesse (Walther/Siebert - Insel Verlag) als sehr beispielhaft und interessant für die Beschreibung und Interpretation von mittelalterlicher Malerei.
Hier wird jedes Bild bis in's Detail auseinandergenommen und erklärt. Mutmaßungen werden dann auch als solche dargestellt und nichts wird verklärt.
Zum zweiten fand ich eine Ausstellung zur mittelalterlichen Buchmalerei*, welche das Stundenbuch des Herzogs von Bedford als Schwerpunkt hatte aber noch vieles mehr, als sehr umfassend. Hier wurde die Entwicklung der Kunst der Buchmalerei erläutert und gezeigt in welchen Etappen, vom Strichmännchen im 9. Jahrhundert bis zur dreidimensionalen real wirkenden Darstellung im 15. Jahrhundert, sich diese vollzog.

*veranstaltet vom Faksimile Verlag Luzern

Gruß
Siegfrud

Benedikt von Söllbach

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Kunst im Mittelalter - Interpretation von Bildbelegen!
« Antwort #2 am: 05. März 2009, 12:31:43 »
Es ist gut, dass du auf die Problematik aufmerksam machst. Allzuleicht sucht man sich ein Bild im Netz und macht dann irgendwelche Dinge, weil es ja einen Bildbeleg gibt.

Es ist in jedem Fall empfehlenswert, sich Bücher zu einer interessanten Handschrift zu besorgen - das geht sehr gut auch über Fernleihe.
Empfehlen kann ich z.B. auch den "Liber ad honorem Augusti"-Bildband, der wirklich auch sehr interessant zu lesen ist. Es wird nicht nur auf die Geschichte, die er erzählt eingegangen, sondern auch noch eine Analyse der Herstellung der Handschrift (wie viele Maler, wer hat gezeichnet und wer coloriert?)
Interessant ist z.b. dass die Staufer Idealisiert werden und Tankred verunglimpft wird - sehr subtil allerdings, z.b. durch konsequentes benutzen von Seitenprofilzeichnungen. Tankred wird auch immer etwas kleiner und buckeliger dargestellt, als die Staufer. Interessant ist auch, dass die ersten Zeichnungen von Tankred revidiert wurden, die Seitenprofilansicht also erst nachträglich eingefügt wurde, weil der Autor offenbar die Seiten gewechselt hat.

Solche Informationen lassen auch Rückschlüsse auf die Verwendbarkeit von Bildbelegen zu (z.b. ob Proportionen benutzt werden können, oder nicht).
Probate spiritus si ex Deo sunt. ("Prüfet den Geist, ober er von Gott kommt" - Paulus)
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Siegfrud von Burgund

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Kunst im Mittelalter - Interpretation von Bildbelegen!
« Antwort #3 am: 06. März 2009, 18:36:12 »
@Benedikt: Sag mal hast Du eine Literaturempfehlung für das "Liber ad honorem Augusti", (die man sich leisten kann) ?

Was mir zum Thema auch noch einfällt ist, dass man unterscheiden sollte zwischen den Tatsachen und dieser Art von Idealisierung wie Beni sie beschreibt, hinsichtlich der Staufer. Den Unterschied zu erkennen ist manchmal nicht so einfach.

Benedikt von Söllbach

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Kunst im Mittelalter - Interpretation von Bildbelegen!
« Antwort #4 am: 07. März 2009, 00:39:02 »
Ich habe mir damals das hier:
http://www.amazon.de/Petrus-honorem-Augusti-Siculis-Burgerbibliothek/dp/3799542450/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1236382631&sr=8-1

per Fernleihe besorgt. Das hat mich 3 Euro und zwei Gänge zur Bilbiothek gekostet.
Der einzige Nachteil ist, dass man das Buch wieder zurückgeben muss, aber man darf sich ja auszugsweise für den Privatgebrauch Kopien (z.b. der interessanten Folios mit Text) machen.

Einige Bilder gibts außerdem Online...
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