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Der Schwertstreich und seine Folgen....
Thomas W.:
--- Zitat von: Cornelius am 05. Juni 2012, 22:06:32 ---Die Entwicklung der Schwerter ab dem 11. Jahrhundert geht ja gerade hin zum Stich als potentiell panzerbrechendem Angriff, daher die rhombischen Klingenquerschnitte, die allmäglich die Hohlkehlung verkürzen.
--- Ende Zitat ---
Nach meinen Rechercheergebnissen tauchen die rhombischen Klingenquerschnitte erst deutlich später auf, als "ab dem 11. Jhd.".
Die häufigsten Klingenformen im Hochmittelalter dürfte der Oakshott Typ X, XI, XIa und XII gewesen sein. Dies sind alles Klingen die primär für den Hieb ausgerichtet waren und weniger für den Stich (auf "gerüstete" Gegner!). Ihre Orte laufen (auch bei erhaltenen Originalen dieser Zeit) in der Regel "rund" aus (Achtung! Die deutsche Oakeshott-Klassifikation auf wikipedia beschreibt das falsch! Sie spricht generell von einem spitz auslaufendem Ort. Genau wie bei den spätmittelalterlichen, primär für den Stich optimierten Schwertern... die hingegen laufen am Ort aber tatsächlich "spitz" aus! Den Unterschied sehr ihr aber gleich selbst). Aber ja, gelegentlich findet man auch um 1200 herum schon "wirklich spitze" Ausnahmen bei den Orten. Sie sind aber (meiner Meinung nach) nicht die Regel.
Erst im weiteren Verlauf des 13. Jhd. (primär ab der zweiten Hälfte) werden die Orte generell spitzer und die Klingen mit kürzeren Hohlkehlen (wie beim Typ XII zum Beispiel) versehen, um sie allgemein für den Stich zu optimieren (da die Körperpanzerung ja bekanntlich in diesem Zeitraum überarbeitet wurde = Stichwort Plattenrock, etc. und man mit hauen/schneiden nicht mehr sonderlich weit kam). Der Txp XII kann übrigens beides haben (jenachdem wann die Klinge im Einsatz war). Also einen eher runder auslaufenden, oder einen spitz auslaufenden Ort.
Nicht das wir uns falsch verstehen. Auch die rund auslaufenden Orte sind "spitz" (und scharf bis ganz nach vorn)! Aber sie sind nicht primär dazu gemacht, um z.B. Ringpanzergeflecht etc. zu durchbohren. Einen ungerüsteten Gegner konnte man damit aber auch locker "abstechen". Um aber Rüstungen im Stich zu penetrieren, benötigt es optimalerweise eine andere Form (und einen etwas anderen Aufbau der Klinge, aber dazu komme ich gleich noch).
Hier sieht man mal drei "rund auslaufende" Orte (von links nach recht) von scharf geschliffenen historischen Nachbauten der Typen XII, XI und X, wie sie um +-1200 herum im Einsatz gewesen sein könnten. Einige gut erhaltene Originale dieser Typen zeigen diese Ortform.
(Bildquelle: ich)
Ich möchte noch anmerken, dass die Gesamtlängen der einhändigen Schwerter im Zeitraum des Hochmittelalters im Schnitt bei um 100cm (+-5cm) lag. Lehnhart spricht im Durchschnitt sogar von 108cm Gesamtlänge (bei einer von ihm für sein Buch untersuchten repräsentativen Auswahl). Die frühen langen Schwerter (Typ XIIa und XIIIa) sind natürlich noch länger (aber dazu ein andermal mehr).
Nun Vergleichen wir auf einem weiteren Bild einmal direkt nebeneinder liegend (von links nach rechts) die Orte von hochmittelalterlichen Schwertklingen mit denen von spätmittelalterlichen Exemplaren. Man erkennt sofort einen Unterschied bei der Gestaltung der Orte (nämlich zwischen "rund- bzw- spitz" auslaufend). Auf den zweiten Blick fällt ebenfalls auf, dass die Klingenquerschnitte bei hoch- und spätmittelalterlichen Schwertern unterschiedlich sind. Dies hat etwas mit ihrem primären Einsatzzweck zu tun. Nämlich entweder dem Hieb- oder dem Stich (oder auch beidem, wie z.B. ab dem Typ XII beginnend und beim Typ XIV dann bereits schon oft erkennbar)
(Bildquelle: ich)
Hier noch ein Foto, dass eine "Gesamtansicht" zum besseren Vergleich zulässt. Die Reihenfolge der Klingen ist unverändert zu dem oberen Bild.
(Bildquelle: ich)
Bei den hier gezeigten Klingenformen handelt es sich (von unten nach oben) um einen Oakeshott:
- Typ XI (11. Jhd. bis um 1200, ballige Hiebklinge mit langer und recht breiter, teils auch fast bis zum Ort reichender Hohlkehle, GL = 101cm)
- Typ XII (ab 1175 bis ins 14. Jhd., ballige Hiebklinge mit langer (etwa 2/3 der Klingenlänge) Hohlkehle, teilweise bereits auch schon mit spitzem Ort (und einem kleinen, bereits rhombisch geformten, Klingenabschnitt direkt hinter dem Ort) für den Stich optimiert, GL = 102,5cm)
- Typ XIV (ab zweite Hälfte 13. Jhd. & 14. Jhd., letzter Klingentyp mit für ein Hiebschwert typisch balligem bzw. konvexem Klingenquerschnitt (hinter dem Ort bereits rhombisch), an der Basis sehr breite und kurze Klinge, sich zum Ort hin stark verjüngend, für Hieb und Stich geeignet, dieses Schwert wird auf 1300-1350 datiert, GL = 82cm)
- Typ XVIII (15. Jhd., rautenförmige, leicht konkarve Klinge, keine oder nur kurze Hohlkehle, für den Stich optimiert, die Vorlage zu dieser Schwertreplik wird auf das erste Viertel des 15. Jhd. datiert, GL = 87cm)
- Typ XVa (14./15. Jhd., rautenförmige, sehr spitz zulaufende Klinge, nadelförmiger Ort, keine oder nur kurze Hohlkehle, für den Stich optimiert, das Original wird auf um 1400 datiert, GL = 102cm)
- Typ XVIIIb (15./16. Jhd., langes Schwert mit langer und schlanker rautenförmiger Klinge, langer Griff für zweihändige Führung, dieses Exemplar wird im Original auf 1550-1580 datiert, GL = 124cm)
- Typ XVIIIa (15./16. Jhd., langes Schwert mit nun wieder breiterer Klinge, spitzer Ort mit dahinter liegendem rautenförmigen für den Stich optimierten Klingenteil, dahinter 1-3 Hohlkehlen an der breiten Klingenbasis, allgemein im gesamten kürzer als die XVIIIb Klinge, für Stich und auch wieder für den Hieb geeignet, dieses Schwert wird im Original auf 1520-1530 datiert und kann mit beiden Händen geführt werden, GL = 111cm).
Benedikt von Söllbach:
Danke für die detaillierte Übersicht!
Cornelius:
Da ist mindestens eins von Sulowski dabei, oder? Mit dem rhombischen Querschnitt hast du recht; bis Typ XIV ist die Klingenschwäche elliptisch. Ich gehe inzwischen davon aus, dass die Stiche das Ringgeflecht primär nicht durchdringen sollten (und das auch nur selten konnten, sonst wäre dieser Rüstungstyp ja recht unnütz), sondern genug Schaden darunter anrichten, damit nach einigen Treffern die Sache langsam entschieden war.* Dann wäre auch Gelegenheit für die finalen beidhändigen Hiebe, die wir dargestellt sehen. Trotzdem halte ich die Stiche für die primären treffenden (!) Attacken in einem abgesessenen Zweikampf mit Schwertern (was an sich eine Randerscheinung gewesen sein mag). Sobald man nur halbwegs fechterisch gebildet ist, wird man seine Waffe(n) vorn halten und dann haben es Hiebe arg schwer, durchzukommen, von dieser riesigen Holzwand vorm Körper ganz abgesehen. Kurz also: Penetration kaum, Stiche als Angriffe aber sehr wohl.
Dass eine Klinge nicht spitz zuläuft, ist meiner bescheidenen Meinung kein Indiz für die Unterordnung von Stichen beim Fechten (auch bei Wikischwertern oder Katzbalgern nicht). Primär hat es was damit zu tun, wo der Ort eindringen soll, denke ich. Wenn Stiche tatsächlich weniger vorkommen, würde ich das eher auf andere Faktoren zurückführen (Schildtypen, Spielregeln, Klingenkrümmung etc.).
*Die HoMi-Schwerter sind auch noch vergleichsweise dünn und flexibel. Dass die Hohlkehle zurückweicht, weist meines Erachtens aber trotzdem auf eine gestiegene Bedeutung des Stiches gegen wenig weiche Ziele hin. Wie früh die Entwicklung der Hohlkehlenverkürzung einsetzt, wäre evtl. auch eine Neubetrachtung wert. Stefan Mäder hat letztes Jahr zurecht darauf hingewiesen, dass z. B. Scheibenknäufe viel früher auftauchen (s. Utrecht-Psalter), als sie bisher eingeordnet wurden. Würde mich nicht überraschen, wenn zu solchen Sachen in den nächsten Jahren noch einige Erkenntnisse kommen. Aber du kannst auch mit der Plattenrock-These Recht haben; falls die bisherigen Datierungen wirklich verlässlich sind.
Thomas W.:
--- Zitat von: Cornelius am 13. November 2017, 22:46:31 ---Da ist mindestens eins von Sulowski dabei, oder?
--- Ende Zitat ---
Du hast ein gutes Auge, mein lieber Cornelius. :) Ja, auf dem Bild sind vier Stück (Typ XIV, XVa, XVIII und XVIIIb) aus seiner Schmiede.
--- Zitat von: Cornelius am 13. November 2017, 22:46:31 ---Mit dem rhombischen Querschnitt hast du recht; bis Typ XIV ist die Klingenschwäche elliptisch. Ich gehe inzwischen davon aus, dass die Stiche das Ringgeflecht primär nicht durchdringen sollten (und das auch nur selten konnten, sonst wäre dieser Rüstungstyp ja recht unnütz), sondern genug Schaden darunter anrichten, damit nach einigen Treffern die Sache langsam entschieden war.* Dann wäre auch Gelegenheit für die finalen beidhändigen Hiebe, die wir dargestellt sehen. Trotzdem halte ich die Stiche für die primären treffenden (!) Attacken in einem abgesessenen Zweikampf mit Schwertern (was an sich eine Randerscheinung gewesen sein mag). Sobald man nur halbwegs fechterisch gebildet ist, wird man seine Waffe(n) vorn halten und dann haben es Hiebe arg schwer, durchzukommen, von dieser riesigen Holzwand vorm Körper ganz abgesehen. Kurz also: Penetration kaum, Stiche als Angriffe aber sehr wohl.
--- Ende Zitat ---
Ja, ich denke evtl. war es auch die (oder eine) Tatsache, dass es eben "mehrere" Treffer benötigte, um seinen Gegenüber ausser Gefecht zu setzen. Grundsätzlich denke ich, war es das Ziel von Zweikämpfen "auf leben und Tod" sein Gegenüber schnellstmöglich zu bezwingen. Jeder neue bzw. weitere Versuch barg eine hohe Gefahr dabei selbst verletzt zu werden. Ich denke, dass man zu jeder Zeit motiviert war, sein "Werkzeug" darauf hin zu optimieren. Und ich gebe dir natürlich Recht. Wie bereits oben auch von mir erwähnt, ist immer und mit eigentlich jeder Blankwaffe auch gestochen wurden. Aber nicht jede Blankwaffe konnte das gleich gut (vorallem eben gegen gerüstete Gegner).
--- Zitat von: Cornelius am 13. November 2017, 22:46:31 --- Dass die Hohlkehle zurückweicht, weist meines Erachtens aber trotzdem auf eine gestiegene Bedeutung des Stiches gegen wenig weiche Ziele hin. Wie früh die Entwicklung der Hohlkehlenverkürzung einsetzt, wäre evtl. auch eine Neubetrachtung wert. Stefan Mäder hat letztes Jahr zurecht darauf hingewiesen, dass z. B. Scheibenknäufe viel früher auftauchen (s. Utrecht-Psalter), als sie bisher eingeordnet wurden. Würde mich nicht überraschen, wenn zu solchen Sachen in den nächsten Jahren noch einige Erkenntnisse kommen. Aber du kannst auch mit der Plattenrock-These Recht haben; falls die bisherigen Datierungen wirklich verlässlich sind.
--- Ende Zitat ---
Ja, ich denke das dies wirklich mal interessant wäre. Ein gute Idee von dir! Ich denke auch, dass wir hier noch einige Überraschungen erwarten können. Mit der "Plattenrock-These" bin ich mir aber in so weit sicher, dass ich sagen kann: Es hat in jeder Epoche einen ständigen "Wettlauf" zwischen Schutzbewaffnung und Blank/Stangen/Schlagbewaffnung, etc. (siehe auch "Entwicklung der Helm- und Schildformen) gegeben. Auch im Hochmittelalter war das sicher ein Thema, mit dem sich auseinandergesetzt werden musste.
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